Die meisten Menschen in Deutschland wissen relativ wenig über Afrika. Doch danach gefragt, was ihnen zu Afrika einfällt, nennen sie überwiegend stereotype Bilder und Vorurteile, die kaum etwas mit den Realitäten des Kontinents, seinen Regionen und mit den dort lebenden Menschen und den zugewanderten hier in Deutschland gemein haben.
Die Dominanz der vorherrschenden Bilder, in denen z.T. koloniale Perspektiven ungebrochen fortleben, tragen auch dazu bei, dass die zeitgenössischen Produktionen afrikanischer Kulturschaffender und Künstler, sieht man von exotisierenden und stereotypisierenden Mainstream Produkten einmal ab, sich in Deutschland nur selten einer größeren öffentlichen Aufmerksamkeit und Würdigung erfreuen können. Dazu gehört besonders die (deutschsprachige) Literatur afrikanischer Autoren.
Trotz z. T. Jahrzehnte langen Bemühens einzelner Verlage zeitgenössische afrikanische Literatur und Schriftsteller einem breiten Publikum -Erwachsenen wie Jugendlichen- zugänglich zu machen, fristet auf Deutsch vorliegende afrikanische Literatur noch immer ein Schattendasein. Dazu zählen häufig auch Werke afrikanische Autoren die seit langem zur Weltliteratur gehören. (Chinua Achebe, Ngũgĩ wa Thiong’o, Abdourahman Waberi, Alain Mabanckou, Calixthe Beyala, Marie NDiaye um nur einige zu nennen).
Warum das Bild der meisten Deutschen vom heutigen Afrika stärker von der Vergangenheit z.B. der deutschen Kolonialliteratur als von der Aktualität afrikanischer Autoren geprägt wird – darauf versucht Dr. Aissatou Bouba mit ihrem Vortrag eine Antwort zu geben.
Dr. Manfred Loimeier lenkt den Blick auf das Wechselspiel von den Bedingungen der Wahrnehmung und der Rezeption afrikanischer Literatur, und Dr. Thomas Büttner stellt die Bestrebungen westafrikanischer Länder vor, den afrikanischen Muttersprachen in Schule und Literatur mehr Gewicht zu verleihen.
In ihrem Vortrag bietet Paula von Gleich Einblicke in die literarischer Verarbeitung von Fluchterfahrungen an den Grenzen Europas.
Der Vortag „Afrikanische Hörspiele“ zeigt Ina Schenker beispielhaft auf, wie lebendig Hörspiele an der Schnittstelle zwischen mündlicher und schriftlicher Tradition ihre HörerInnen immer wieder aufs Neue fesseln.
Die Lesungen und Buchvorstellungen mit dem Kinderbuchautor Patric Addai (Österreich / Ghana) und dem Schriftsteller Christopher Mlalazi (Simbabwe) zeigen beispielhaft und unterhaltsam auf, wie vielfältig, spannungsvoll und aktuell afrikanische Literatur ist.
Mit der Vortrags- und Lesereihe, der Vorstellung aktueller afrikanischer Literatur und ihre Autoren, sowie den Vorträgen und Diskussionen zur Geschichte, den Bedingungen und der Gegenwart auf Deutsch vorliegender Literatur aus Afrika will Mate ni kani nicht nur allgemein das Interesse an afrikanischer Literatur fördern, sondern auch einen Beitrag zur kulturellen Verständigung zwischen Afrika und Deutschland, zwischen den hier in Bremen lebenden afrikanischen Menschen und den Menschen der Mehrheitsgesellschaft leisten.
* Beim Titel der Veranstaltung „Nein danke wir haben schon ein Buch über Afrika“ handelt es sich um die Reaktion eines Buchhändlers auf die Bitte eines Verlegers hin, ihm das aktuelle Verlagsprogramm mit afrikanischer Literatur einmal vorstellen zu dürfen.
Die Reaktion des Buchhändlers, die wir zitiert in der Süddeutschen Zeitung (2013) gefunden haben, ist nicht nur absurd. Sie ist auch, zumindest für die Veranstalter, ein Indikator für die vorherrschenden Einstellungen, stereotypen Bilder und Vorurteile mit denen Menschen in Deutschland dem Thema Afrika noch immer begegnen.
„Perspektivenwechsel? – Afrikanische Literatur im postkolonialen Deutschland in der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts“, Dr. Manfred Loimeier, Mannheim
„Afrikanische Literatur an der Grenze zu Europa“, Paula von Gleich, Uni Bremen
„Afrikanische Hörspiele. Literatur in mündlicher Form – mit Beispielen aus Mosambik und Sambia“, Ina Schenker, Uni Bremen
Dorugu – oder eine Geschichte kehrt an den Ort ihrer Entstehung zurück
Die Stadt Damagaram (heute Zinder, nahe der Grenze zu Nigeria) in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts:
weiterlesenUm 1840 wird in einem Dorf unweit der Stadt ein Junge namens Dorogu geboren. 1850, kaum zehnjährig, wird Dorogu verschleppt und versklavt.
Ein knappes Jahr später treffen die deutschen Afrikaforscher Heinrich Barth und der Geologe Adolf Overweg in der Region Damagaram auf Dorogu. Overweg kauft das Kind von einem arabischen Händler frei. Aufgrund seiner sprachlichen Begabung dient Dorogu beiden als Übersetzer für Hausa.
Nach dem Tod von Overweg nimmt Heinrich Barth ihn in seine Dienste. Dorogu wird Barth bis 1854 auf seiner berühmten Forschungsreise begleiten, die beide unter anderem auch nach Timbuktu (Mali) führt.
In Timbuktu entschließt sich Barth am Ende seiner Forschungsreise Dorogu mit nach Europa zu nehmen. Über einen Zwischenstopp in Berlin (hier ist auch die Fotografie von Dorogu entstanden) treffen Barth und Dorogu 1855 in London ein, wo Heinrich Barth beginnt, seinen fünfbändigen Forschungsbericht zu verfassen. Dorogu wird von Barth in die Obhut des in Kent lebenden deutschen Missionars Schön gegeben, der zu dieser Zeit an der Herausgabe eines englisch/hausa- Wörterbuchs und einer Grammatik für Hausa arbeitet. In den folgenden sechs Jahren dient Dorogu, dem Missionar als Quelle für Geschichten und Erzählungen auf Hausa. Die Zeit in Kent nutzt Dorogu aber auch für sich und diktiert der Frau des Missionars seine Reiseerlebnisse und Eindrücke als junger Afrikaner im viktorianischen England.
Am Ende entstand die „Magana Hausa“, ein Buch, das als Lehrwerk für Missionare und für englische Kolonisatoren dienen sollte. Ob das Buch in seiner Funktion je zum Einsatz kam ist unbekannt.
Bekannt aber ist die Neuübersetzung ins englische durch den Linguisten und weltbekannten Hausa-Spezialisten Paul Newman. Er fand das Buch gut einhundert Jahre später, um 1970, verstaubt auf einem Dachboden. Newman stellte u.a. fest, dass viele Beobachtungen Dorogu‘s aus dem viktorianischen England, u.a. eine Liebesszene, im englischen Teil zensiert waren, bzw. falsch übersetzt wurden oder keine Erwähnung fanden.
Januar 2014
Mit dem Arbeitsbesuch von Mate ni kani im Regionalmuseum in Zinder, kehrt die Geschichte von Dorogu erstmals zurück in die Region und sorgt für große Überraschung und Aufmerksamkeit:
In Zusammenarbeit mit dem Historiker Abdoulaye Mamane, dem Journalisten Bello Marka und dem Künstler und Illustrator Boukari Mamadou wird bis Mitte 2015 die Odyssee des Dorogu als Jugendbuch in Hausa und später zweisprachig (hausa/französisch) erscheinen.
Die in Zusammenarbeit mit uns geplante „Henry Barth“ Ausstellung im Regionalmuseum, wird mit der Dorogu‘ s ergänzt, bzw. die Geschichte Dorogu ‘s wird der Geschichte Barths gegenübergestellt.
Im Niger kennt jedes Schulkind die Reisen des Heinrich Barth. Mit der Veröffentlichung der Geschichte des Dorogu, eines Afrikaners, der ebenfalls quer durch Westafrika und später nach Europa reiste und seine Erlebnisse und Eindrücke beschrieb, bestehen gute Chancen, der eurozentristischen Perspektive, die sich auch in nigrischen Schulbüchern noch wiederfindet, eine afrikanische Sicht an die Seite zu stellen.
Schon jetzt gibt es Überlegungen, Dorogu in die nigrischen Schulbücher aufzunehmen. Ein echter Beitrag zur Dekolonisierung!